Gedächtnistraining nach Kellner-Art


Seit 14 Jahren arbeitet Omar Velusio im Café de los Angelitos, einem der traditionsreichen Kaffeehäuser in Buenos Aires, in dem schon der Schriftsteller Jorge Luis Borges seinen “café con leche” (Milchkaffee) getrunken haben soll. Immer adrett gekleidet mit Hemd, Weste und Fliege - aber immer ohne Notizblock. "Das ist hier Tradition." Auch sein Kollege Jorge Osuna vom traditionellen Café Richmond in der Fußgängerzone der argentinischen Hauptstadt, notiert die Bestellungen seiner Gäste grundsätzlich nicht.

Beide sind sich einig: Anfangs ist es manchmal schwierig, sich alles zu merken. Aber mit den Jahren - bei Sr. Osuna sind es inzwischen 22 - ist das kein Problem mehr. Wer in den traditionellen Kaffeehäusern arbeitet , benutzten eben keine Notizblöcke. "Das hat sich so entwickelt. Als es noch keine modernen Kassen gab, funktionierte alles eh nur auf Zuruf. Heute gäbe es ja moderne Kassen, aber nun ist das eben eine Sache der Ehre."

Inzwischen hat das Gedächtnis dieser Kellner der “alten Schule” solch einen guten Ruf, dass sich der Erkenntnis-Forscher Tristan Bekinschtein für sie interessiert hat. "Ich wollte schon immer mal eine Studie über diese Kellner machen", sagt der Argentinier, der an der Universität Cambridge arbeitet, "ihre Fähigkeit, sich die vielen Bestellungen zu merken, hat mich schon als Kind sehr beeindruckt."

Er startete mit zwei Kollegen aus Buenos Aires vor wenigen Jahren ein Experiment. Seine Erkenntnis: "Die Kellner benutzen eine Strategie, die wir 'chunking‘ (in kleinere Teile zerlegen) nennen. Sie merken sich die Person, deren Platz am Tisch und die Bestellung und verlinken diese drei Dinge im Kopf miteinander. Das machen sie außergewöhnlich schnell." All das ist aber eine Sache der Erfahrung. Die meisten der Kellner, mit denen die Wissenschaftler gesprochen haben, wurden nie wirklich eingearbeitet und sie verfolgen auch keine bewussten Strategien, um sich die Dinge zu merken. Das kommt einfach mit den Jahren.

Im Experiment wurden acht Menschen an einen Tisch gesetzt und mussten verschiedene Dinge bestellen. Die Versuchspersonen waren sich ähnlich, durften auch nicht ausgefallen angezogen sein und durften nichts Ungewöhnliches bestellen (Whisky mit Olive obendrauf ging nicht). Die normalen Bestellungen waren für die ohne ihr Wissen getesteten Kellner kein Problem, sogar auch, als die Versuchspersonen nach der Bestellung die Stühle wechselten, gab es vergleichsweise wenige Fehler.

Es ist die jahrelange Erfahrung, die das Gedächtnis der Kellner in Buenos Aires so außergewöhnlich macht, sagt Bekinschtein - lernen kann man aber von ihnen trotzdem.
Wer insgesamt schärfer denken (lernen) will, sollte sich täglich ein paar Gedächtnisaufgaben stellen sollte. Wichtig ist dabei, dass diese Aufgaben unterschiedliche Bereiche des Gehirns trainierten. Sudoku ist gut, aber ab und an noch zusätzlich das gute alte 'Memory‘ spielen, das ist nämlich auch 'chunking‘, wie bei den Kellnern."

Ganz unfehlbar sind auch die Superhirne der argentinischen Kellner nicht. Jorge Osuna aus dem Café Richmond irrt sich - wenn - dann meistens bei den Nudelsoßen.

Also, was gibt es Schöneres, als in einem solchen Lokal von solchen Künstlern bedient zu werden. Das Schlimmste ist ja wohl so ein “neumodischer” Apparat, wo die Bestellung eingetippt wird und dann digital in der Küche oben an der Wand angezeigt wird – sieht ja aus wie im Wettbüro.
Quelle: aerztezeitung.de

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