Wenn die Arztpraxis zum Basar wird...



Die Deutschen sind gesünder, als es vielen Ärzten lieb ist, denn Gesunde bringen kein Geld. Es sei denn, man schürt die Angst vor Krankheiten.

Vorsicht IGeL!
Lassen Sie sich nicht verschrecken, wenn Sie beim nächsten Arztbesuch mit einer für Sie eventuell kostspieligen Gefahrenforschung konfrontiert werden. Sie sind wahrscheinlich nicht kränker geworden. Weiterhin zahlen die gesetzlichen Kassen alles, was medizinisch als notwendig, sinnvoll und wirtschaftlich anerkannt ist. Für Wellness-Behandlungen wie Vitamin-Aufbauspritzen, Laktat-Tests für Jogger, Lichttherapien gegen saisonale Depressionen, oder chinesisches Yin-Yang ist die Solidargemeinschaft der Kassenversicherten aber nicht zuständig.

Was ist: IGeL?
Wer die Spreu vom Weizen trennen will, kann seine Krankenkasse um Rat fragen. Kassen, Ärztekammern und Verbraucherzentralen haben auf ihren Internetseiten auch Ratgeber veröffentlicht. Darin heißt es: "Lassen Sie sich von Ihrem Arzt ausführlich den konkreten Nutzen und die möglichen Risiken der Leistung erklären. Fragen Sie, warum die Leistung nicht auf Chipkarte abgerechnet werden kann. Lassen Sie sich Zeit für ihre Entscheidung. Nehmen Sie eventuell bei Ihrer Kasse, bei einem vertrauenswürdigen Apotheker oder einem Zweitarzt Rücksprache. Verlangen Sie einen Kostenvoranschlag und eine detaillierte Rechnung."

Die Ursache: Mediziner auf der Suche nach mehr Verdienst
Seit Gesundheitsreformen die Ausgaben deckeln, suchen Mediziner nach Marktnischen, um das karge Kassenhonorar durch Nebeneinkünfte aufzubessern. Der IGe-Leistungs-Katalog umfasst inzwischen rund 330 Offerten, vom Gedächtnis-Check über Ozon-Therapie bis zu Schönheitseingriffen. Der Schwerpunkt liegt bei Präventions-Angeboten. Patienten werden vermehrt animiert, eventuell mögliche Erkrankungen Jahrzehnte zuvor zu erkennen. Oder durch besondere Labor-Ausschluss-Tests die Sicherheit zu gewinnen, gegen dieses und jenes Unbill gefeit zu sein.
Praxisbesucher merken, dass der Druck wächst. Jeder vierte GKV-Patient hat im vergangenen Jahr Zusatzdiagnosen und -therapien gegen Bares angeboten bekommen, meldet das Wissenschaftliche Institut der AOK. Ähnliches stellte auch die Gmünder Ersatzkasse GEK kürzlich bei einer Umfrage unter 200 Versicherten fest. Den GEK-Mitgliedern wurden 345-mal beim Arzt und 201-mal beim Zahnarzt IGeL angepriesen. "Aufgedrängt", meinen manche Patienten. Die geforderten Preise lagen zwischen 40 bis 150 Euro.

Die bevorzugte Zielgruppe sind nach AOK-Erkenntnissen Versicherte mit über 3000 Euro Monatsnettoeinkommen und besserer Schulbildung.


Manche Praxen gleichen inzwischen Bazaren

Werbefilme, Flyer, Broschüren, Plakate und Ausstellungskästen preisen den Menschen im Wartezimmer die diversen Angebote ihres Doktors an. Weil es manchem Arzt unangenehm ist, beim Magenabtasten über Moneten zu reden, informiert er oft nur über medizinische Aspekte, und seine Damen an der Rezeption über den Preis.


Viele IGeL-Leistungen sind überflüssig
Kritiker wie der Verbraucherschützer Wolfgang Schuldzinski von der Verbraucherzentrale NRW halten die meisten solcher Zusatz-Angebote entweder für "nicht zwingend erforderlich", für "schlicht überflüssig" oder gar "medizinisch fragwürdig". Patienten würden durch den Hinweis auf mögliche Krankheiten oft unnötig verängstigt, um ihnen dann zur Heilung unnötige Untersuchungen und Substanzen für teures Geld zu verkaufen.

Auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, Michael Kochen, zählt zu den Skeptikern. Er hält die kommerzielle Vermarktung von Gesundheitsofferten für "ethisch bedenklich". Bei einer Prüfung des IGeL-Sortiments durch die Stiftung Warentest blieben nur wenige Angebote als brauchbar übrig. Inzwischen weiss man: Den Ärzten geht es nicht eindeutig um die Sorge um die Allgemeingesundheit. "Weil es die finanzielle Zukunft der Arztpraxen ist." - Weil wir uns zusätzliche Einnahmequellen erschließen müssen". - "Weil die Ärztehonorare kontinuierlich in den Keller gehen." - "Weil IGeL zum Überleben der Praxis einfach notwendig sind", lauteten die Argumente bei der jüngsten Umfrage eines Branchenjournals.

Sinnvolle Angebote im IGel-Katalog
Nicht alle kostenpflichtigen Offerten sind schlecht. Im Sammelsurium der aus eigener Tasche zu zahlenden Gesundsheitsangebote findet sich neben einer Menge Obskurem auch durchaus Sinnvolles. Wie zum Beispiel ausführliche Ernährungsberatung, Reiseimpfungen und -beratungen, Raucherentwöhnung, Stressbewältigungs-Therapien, oder individuelle Sportuntersuchungen wie Flug- bzw. Tauchtauglichkeitsprüfungen.
Doch da es keinen TÜV für IGeL gibt, lassen sich Patienten allzu oft Überflüssiges andrehen.

Quelle: Stern_online, Oktober 2007