Stadtleben macht ängstlich

Mein Traum seit längerem ist es ja immer noch, wieder – nach inzwischen 23 Jahren - in die Grossstadt zu ziehen. Am liebsten ja New York für mindestens 6 Monate bis 2 Jahre. Wenn nicht das, dann Berlin oder Hamburg. Vielleicht sollte ich mir das nochmal überlegen. Denn nun stellt sich raus, dass das Stadtleben nicht unbedingt günstig auf das Gehirn wirkt.

Früher hiess es ja: Stadtluft macht frei. Ich nehme an, im Sinne von alten Mief hinter sich lassen. Sich Neues einverleiben, weit weg von den Zwängen, die einem die Altvorderen (wie mein Vater noch immer zu sagen pflegt) auferlegen.

Mit frei ist es aber wohl gar nicht so weit her, wie jetzt eine Studie aus Deutschland darstellt. Da hat sich ergeben, dass Stadtbewohner Stress anders verarbeiten als Menschen, die auf dem Land geboren sind. Städter in Bedrängnis aktivieren häufiger jene Regionen des Gehirns, die für die Verarbeitung von Ängsten zuständig sind.

Vielen Menschen bekommt das enge Zusammenleben mit anderen auf engem Raum offenbar nicht. Untersuchungen zeigen, dass die Depressionen in der Stadt um 39 Prozent höher ist als auf dem Lande. Angststörungen sind zu 21 Prozent häufiger, und Schizophrenien werden bei Menschen, die von Geburt an in der Stadt aufwachen, doppelt so häufig diagnostiziert.

Was genau das Leben in der Stadt trotz des höheren Lebensstandards ungesund macht, ist nicht bekannt. Der Leiter des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, Andreas Meyer-Lindenberg, und seine Gruppe vermuten den Grund im vermehrten sozialen Stress, der sich aus den vermehrten Kontakten mit fremden Menschen in der Stadt ergibt.

Die Experimente seiner Leute zeigen, dass Städter in Stresssituationen z. Bsp. ängstlicher reagieren. In einem ersten Experiment mussten 32 Studenten Rechenaufgaben lösen, während die Forscher ihre Hirnaktivität mittels der funktionellen Kernspintomografie registrierten. Um den Stress zu vermehren, wurde den Teilnehmern über Kopfhörer ständig signalisiert, dass sie zu langsam seien und den Test vermutlich nicht bestehen würden. Dies führte bei den Städtern zu einer Aktivierung der Amygdala, dem Furchtzentrum des Gehirns. Die Aktivierung war umso stärker je urbaner die aktuelle Lebensumwelt der Studenten war.

Bei jenen Probanden, die in der Großstadt aufgewachsen waren (und nicht vom Land in die Stadt gezogen waren), wurde außerdem der anteriore cinguläre Cortex (ACC) aktiviert. Er steht in enger Verbindung mit den Amygdalae und ist nach Ansicht einiger Hirnforscher eine Art Frühwarnsystem, das bei drohender Gefahr einer Fehlentscheidung aktiv wird.

Das Experiment wurde abgeändert an einer zweiten Gruppe von Probanden wiederholt. Dieses Mal wurden die Studenten durch eine ablehnende Mimik des Untersuchers, die sie per Video beobachten konnten, verunsichert. Wieder kam es zu einer vermehrten Aktivierung von Amydalae und ACC.

Demnächst sollen die Experimente bei Nicht-Studenten wiederholt werden. Meyer-Lindenberg rechnet damit, dass dann die Stadt-Landunterschiede in der Stressreaktion bei der Allgemeinbevölkerung eher noch größer ausfallen als unter den prüfungsgewohnten Studenten werden.

Die Ergebnisse sollten angesichts der zunehmenden Urbanisierung nicht unterschätzt werden. Bereits heute leben schon mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten, und Mannheim/Ludwigshafen ist sicherlich nicht zu vergleichen Orten wie Mumbai, Delhi oder São Paulo, wo jeweils 20 Mio. Menschen leben. Dementsprechend ist auch der soziale Stress eher beträchtlich höher. Und - die Demografen gehen davon aus, dass die Urbanität in den nächsten Jahrzehnten noch weiter zunehmen wird.

Angesichts dieser Aussichten sollte ich mir wirklich nochmal überlegen mit dem Umzug in die Grossstadt. Ich bilde mir auch schon ein, dass das saisonale Güllearoma um und im Dorf in den letzten Jahren weniger geworden ist.
Quelle: aerzteblatt.de