Raucher - die neuen Aussätzigen

Kaum ein Konsumprodukt unserer Gesellschaft hat in solch kurzer Zeit einen so starken Imageverfall hinnehmen müssen wie die Zigartte. Deshalb müssen wir jetzt nicht sentimental werden und das Ding als „vintage“ wieder auf den Markt bringen. Denn die Geschichte des Rauchens ist v.a. auch eine Chronik der Rücksichtslosigkeit. Zigarettenqualm in geschlossenen Räumen verursacht eine Luftverschmutzung, die übler ist als die Luft im Ruhrpott der Nachkriegszeit. Tabakrauch enthält 4800 verschiedene Substanzen, von denen mehr als 70 krebserregend sind oder zumindest im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen.
Der Totenkopfstempel gehörte längst auf jede Schachtel: Ammoniak, Stickstoff- und Schwefeloxide, Arsen, Cadmium, Chrom, Formaldehyd. Sogar Polonium. Eigentlich alles perfekt, um sich selbst hinzurichten. Das Problem ist, dass dabei Unbeteiligte vergiftet werden und das ist glücklicherweise hierzulande nicht akzeptabel.

Wenn man Raucher ausser Landes verbannen könnte, würden es heute in Deutschland bestimmt jede Menge Leute geben, die das unterstützen.

Raucher sind inzwischen soziale Außenseiter, eine allerdings noch sehr grosse Randgruppe – immerhin noch 30% der Erwachsenen. Aber in einer gesundheitsorientierten (-oder besessenen?) Gesellschaft wirkt das Rauchen anachronistisch; es ist negativ besetzt, steht für Gestank aus allen Poren, Belästigung, Schwäche. Rauchen und beruflicher Erfolg schließen einander bereits jetzt weitgehend aus. Die Zigarette wird noch mehr als ohnehin schon zur Droge der Modernisierungsverlierer, ein Phänomen der Unterschicht. Und allein deshalb wird die Zahl der erwachsenen Raucher weiter abnehmen. (Wer ungestört rauchen möchte, hat noch eine Rückzugsmöglichkeit - den Knast: da ist es noch nicht verboten).

Doch vor hundert Jahren war Rauchen schick, ein Ritual der Elite, der Inbegriff von Genuss im ledernen Sessel des Herrenclubs; es war der Treibstoff der Avantgarde. Und nun ist die Zigarette zum Suchtstoff des „Prekariats“ geworden. Ein genialer Begriff für alle, die im Leben nicht mehr so ganz die Kontrolle haben über: den Arbeitsplatz, die eigenen Finanzen, die Wohnverhältnisse, die Partnerschaft, Kinderaufzucht, ... Eben alles, was prekär sein kann, kurz vorm Zusammenbrechen.

Schon jetzt rauchen Männer und Frauen, die arbeitslos sind, zwei- beziehungsweise eineinhalb Mal häufiger als Erwerbstätige. Mit andauernder Arbeitslosigkeit steigert sich vor allem bei Männern der Tabakkonsum. Alleinerziehende Mütter rauchen dreimal häufiger als Mütter mit festem Partner; Geschiedene sind in der Raucherstatistik weit vorn und Großstädter. Und wer mehrere dieser Faktoren auf sich vereint, hängt mit Sicherheit an der Fluppe.
Internationale Studien belegen, dass gerade einkommensschwache Haushalte und Alleinerziehende bis zu 20 Prozent ihrer Finanzmittel in den Tabakkonsum investieren. Mit der traurigen Konsequenz, dass dieses Geld dann natürlich für Nahrung, Hygiene, Kleidung fehlt. Für den Grundbedarf also, für das, was der Mensch braucht, um sich ein würdiges Dasein zu sichern.
Und der soziale Gegensatz von Rauchern und Nichtrauchern wird sich in den kommenden Jahren eher noch verschärfen.

Sehr interessant in diesem Zusammenhang zu wissen ist vielleicht aber doch noch, dass weltweit Krankenversicherungsgesellschaften mit Milliardenbeteiligungen in die Tabakindustrie investieren. Glauben Sie also nicht einfach, dass Ihre Versicherungsgesellschaft nur Ihr persönliches Wohl im Visier hat.
Quelle: stern.de