Das "Sauvage" in Berlin: kommt die paläolithische Küche?

In Berlin geht es gemeinhin wohl etwas wilder zu als hier auf dem ruhigen Mallorca. Unter anderem auch in der Gastronomie. So z. Bsp. gibt es dort ein Restaurant mit dem wunderschönen Namen "Sauvage". Das beschwört Bilder in den Kopf von Wildheit, Derbheit, Bären, Tigern - oder auch vielleicht Steinzeit und Dinos?

Diese Idee ist nicht ganz falsch, denn im Berliner Restaurant "Sauvage" wird nur das gekocht, was auch bereits Steinzeit-Menschen geschmeckt haben könnte.

Le Chef heisst aber nicht Fred Feuerstein, sondern ist Boris Leite-Poço und er betreibt das Restaurant im Stadtteil Neukölln gemeinsam mit seinem Lebenspartner Rodrigo.

Beide Männer ernähren sich streng nach dem Speiseplan unserer prähistorischen Vorfahren - Zucker, Nudeln, Reis, Kartoffeln und Brot sind tabu. Stattdessen stehen Fleisch, Fisch, Gemüse, Beeren und Nüsse auf der Speisekarte. "Paläolithisch" heißt diese Form der Ernährung, oder auch einfach Steinzeit-Diät.

Ihre Argumente: Der menschliche Körper ist genetisch auf die Steinzeit-Kost getrimmt. Spätere Erzeugnisse wie Brot und Milch kann er daher nur schlecht verarbeiten. Die Folge: Wir werden dick und krank.

Natürlich steht kein Mammut auf der Speisekarte. Die liest sich eher ganz modern: Lammkeule in Rosmarin-Ingwer-Butter, ein Eier-Wrap mit Schalotten-Tomaten-Sauce (Tomaten???) und sogar ein Nuss-Sesam-Kuchen stehen darauf - aber eben ohne raffinierten Zucker und Backpulver, versteht sich.

Die Steinzeit-Diät hat bereits prominente Anhänger wie Tom Jones gefunden, ist v. a. in Amerika schon sehr beliebt, aber bei uns in Europa noch relativ unbekannt.

Deshalb ist auch das "Sauvage" nach Angaben der Betreiber das einzige Steinzeit-Restaurant Europas. Sie möchten sich auch nicht in einen Steinzeittopf mit dem Prager Restaurant "Pravek" (Steinzeit) werfen lassen, wo zwar stilecht über dem Feuer und in Höhlen-Atmosphäre gekocht wird, doch die Speisekarte ist mit Kartoffeln und Käse wenig steinzeitlich.

In London gibt es zwar ein Lokal mit paläolithischen Gerichten, wie Leite-Poço sagt. Dort würden jedoch auch andere Speisen angeboten. Bundesweit sind beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband keine prähistorischen Schlemmer-Höhlen bekannt.

Diät ohne Getreide?
In der Küche des "Sauvage" bereitet Kawan Lotfi Knäckebrot zu - ohne Getreide, nur mit Gemüse. Auch der 26 Jahre alte Küchenhelfer hat seinen Speiseplan an Fred Feuerstein angepasst. "Früher fiel es mir schwer, auf Eiscreme und Süßigkeiten zu verzichten", sagt er. "Jetzt habe ich kein Bedürfnis mehr nach diesem hochsüßen Zeug."

Auf segensreiche technologischen Errungenschaften der Zivilisation will man im "Sauvage" allerdings nicht verzichten. Mikrowelle auf, Steinzeit-Knäckebrot rein. Statt eines lodernden Feuers, glüht im "Sauvage" der Elektroherd. "Es geht uns nicht darum, zu imitieren, wie der prähistorische Mensch gekocht hat, sondern zu gucken, was gesund ist", sagt Betreiber Leite-Poço. "Paläo" ist für sie "eigentlich keine Diät, sondern eine Lebensart".

Eine Lebensart, bei der man sich jedes Körnchen Getreide verkneifen muss, sehen Ernährungswissenschaftler zumindest skeptisch. "Ein Anteil an Getreide muss nicht per se negativ sein", sagt Alexander Ströhle von der Universität Hannover. Steinzeit-Diät ist für ihn Forschungsthema. Und er kommt zu dem Schluss: Unser Körper hat nicht mehr dieselben Bedürfnisse wie vor zwei Millionen Jahren.

"Von der Nährstoffdichte kann es aber durchaus eine gute Ernährung sein", sagt der Experte. "Nur die Begründung ist nicht plausibel." Von ihrer Ernährung hätten sich unsere Vorfahren nämlich ganz andere Effekte erhofft, als ihre Nachahmer. "Das, was daran heute funktional ist - das Abnehmen - war in der Steinzeit gar nicht wünschenswert."

Genau dieses Abnehmen bestätigen auch die Betreiber des "Sauvage". "Ich esse sehr viel und nehme trotzdem ab", sagt Leite-Poço. Der 27-Jährige ernährt sich seit zwei Jahren paläolithisch. "Seitdem bin ich nicht mehr krank gewesen."
Vielleicht ist das ein Tipp, den sie in ihre Diät einbauen können. Und für die nächste sozialen Verplichtungen, die Restaurantbesuche beinhalten, suchen Sie doch nach paläolithischen Restaurants oder gleich nach dem "Sauvage". Dann prangen über ihrem Geschäftsessen versteinerte Überreste eines wilden Tieres an einer Wand. Und über der Tür prangt ein Geweih (wie in der guten alten Jägerstube, das kennt noch jeder über 50). Auf einem Tisch steht eine Schieferplatte mit Fleisch-Spießen. Und eine Kerze flackert auch. Und bei dem üppigen Schmaus nehmen Sie auch noch ab.

Quelle: aerztezeitung.de