Dr. House vs. Dr. med.


Der 41-Jährige Kai Witzel bekam vergangenes Jahr in der Disziplin Gesundheitswissenschaften (Schwerpunkte Kommunikation und Marketing) seinen zweiten Doktortitel, weil er herausgefunden hatte, dass TV-Heiler reale Patienten beeinflussen.

Das wichtigste Ergebnis seiner Untersuchung: Je mehr Arztserien Menschen sehen, desto mehr Angst haben sie sogar vor Routineoperationen. In seiner Zeit als Chefarzt der Helios St. Elisabeth Klinik in Hünfeld bei Fulda befragte der promovierte Chirurg 162 Patienten mit Leistenbrüchen oder Gallensteinen, bevor er sie selbst operierte. Die Patienten mussten ihre Gefühle auf einer Skala von null (keine Angst) bis zehn (maximal vorstellbare Angst) einordnen. Die Fans von „Dr. House“ & Co. notierten dabei durchschnittlich einen Wert von fünf, während der Rest seine Besorgnis nur mit Stufe drei angab.
Die überzogene Angst der Vielseher erklärt Witzel damit, dass im Fernsehen nur hochdramatische Eingriffe gezeigt würden. Der OP-Alltag besteht aber meistens aus Standardeingriffen; die sind aber viel zu langweilig für die Serien. Und da sie dort nicht vorkommen, schwinden sie wohl auch aus der Vorstellungswelt der regelmäßigen Zuschauer. Die echten Patienten steigern sich hinein in die Fernsehwelt und fürchten, dass ihnen Ähnliches passieren könnte.

Erstaunlicher aber ist, dass auch Mediziner sich durch Schwarzwaldklinik-Ambiente oder fiktive Kollegen wie besagten Dr. House beeinflusst lassen. In einer anderen Studie liess Kai Wirtzel 53 Facharztkollegen, die meisten davon Männer, und 162 Patienten den Realitätsgehalt der Medizinerserien mit Noten von eins (wahrheitsgetreu) bis fünf (absolut unrealistisch) beurteilen. Bei den Ärzten lag „Emergency Room“ mit einem Wert von 2,1 vorn; was Witzel nicht überraschte, denn es ist die wohl realistischste Serie.

Auf den Plätzen zwei und drei folgen „Dr. House“ und „Grey´s Anatomy“. Das allerdings verwunderte den Forscher. Gerade letztere ist die Serie, in der der Klinikalltag ganz besonders versexualisiert ist. Sex zwischen leitenden Ärzten und jungen Assistentinnen (man beachte die weiterhin bestehende Hierachie) ist Teil des Tagesablaufes – haarscharf am Alltag eines ganz normalen Krankenhauses vorbei. Der Studienautor vermutet, dass da die Herren Kollegen wohl eher Wunschträume mit haben einfliessen lassen. Aber auch Diagnose-Crack Dr. House bewegt sich eher weitab der Klinikrealität: jeder klarsehende Mediziner kann noch erkennen, dass dessen Patienten an Krankheiten leiden, die allenfalls als Anekdote für den Hörsaal dienen können.

Die Darstellung der Arztvisite war ein weiteres Thema, dass die Ärzte/Probanden in der Untersuchung beurteilen sollten. Die Arztserien-Fans bewerteten die ärztliche Begutachtung weitaus schlechter als Wenigseher. Ein großer Hofstaat, wie man ihn aus „Emergency Room“ kennt, ist wohl der Wunschtraum eines jeden Krankenhausarztes, aber völlig übserflüssig aus medizinischer Sicht. Andererseits meint Witzel, dass Kliniken, die zunehmend um Patienten konkurrieren, sich vielleicht so einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten, indem sie mehr Zeit und Personal in die Visite investieren.

Aber ein Studienergebnis kann sich der Chirurg bislang nun gar nicht erklären. Je mehr Zeit die Befragten vor dem Fernseher verbrachten, desto besser schmeckte ihnen die Krankenhausverpflegung – für alle, die den Kopf noch frei von Arztserien haben, wohl völlig unverständlich.
Quelle: FOCUS.DE