Wer will da noch leben?




Die Lebenserwartung in Deutschland ist erneut gestiegen. Wie die neuesten Aufzeichnungen des Max-Planck-Instituts (MPI) für demografische Forschung in Rostock belegen, steigt die entsprechende Kurve seit 1840 unablässig an. Seitdem leben die Menschen Jahr für Jahr drei Monate länger. Zusammen ergibt das einen Anstieg der Lebenserwartung um knapp 42 Jahre.

Wird das furchtbar, wenn wir alt sind. Ein warmer Tag, und die Badeanstalt gefüllt mit altem Fleisch, Damen um die 70 mit tätowierten Ketten um den Arm und Löchern diverser Piercings. Die Männer, im Rollstuhl dann, immer noch die Freitagtasche aus recycleten LKW-Planen auf den Knien und Trainingsjäckchen, wie lange halten die sich nur noch? Verständlich, bei diesen Aussichten, das keiner mehr alt werden will. Sein schon gar nicht. Keiner macht uns mehr vor, wie das in einer angenehmen Art funktionieren kann.

Es muss doch irgendwann einmal anders gewesen sein. Zeiten, in denen Leutchen die Klappe hielten, wenn sie noch zu jung und zu dumm waren, um eine Meinung zu allem zu haben. Zeiten in denen erwachsene Menschen in schöne Tücher gekleidet in die Sommerfrische fuhren und mit Karacho die Früchte ihrer Arbeit genossen. Ist nicht mehr.

Heute wollen alle eine Meinung haben und sich Gehör damit verschaffen, sie wollen ums verrecken nicht älter werden, weil man ja viel länger alt ist als jung. Weil eigentlich jeder Körper ab zehn Jahren das Deformieren beginnt, weil Menschen nun einmal keine niedlichen Geschöpfe sind, darum quälen sie sich alle und machen sich mit kleinen Tretrollern zum Deppen. Das Altern liefert dem Menschen den perfekten Grund seinen Hass auf sich mit voller Wucht auszuleben. Der junge Mensch hingegen - jung ist man heute bis 18 - sieht die verzweifelten Bemühungen der Alten sich zu stählen, sich zu operieren, sich in alberne Kleider zu quetschen und bekommt täglich Argumente für dieses unbestimmte Gefühl der Verachtung für den älteren geliefert.

Vergangene Zeiten waren in fast jeder Hinsicht schlechter als die unseren, bis auf den kleinen Umstand des angenehmen Alterns. Damen mit Hütchen, Herren mit Gehröcken flanierten unter Lindenbäumen, redeten mit ihresgleichen und blickten mit leisem Mitleid auf die Jugend. Keinem wäre damals in den Sinn gekommen, noch einmal jung sein zu wollen, zurück in das Alter der hilflosen Ahnungslosigkeit, des unerfüllten Sehnens und dem Glauben, das eigene Leben würde sich unbedingt und auffallend von dem der älteren unterscheiden. Schön war das damals, mit Würde und gut gekleidet zu sterben, und nicht mit einem tätowierten Arschgeweih in die Grube zu fahren.